Multihalle: “Geschwafel in Architekten-Deutsch”

“Geschwafel in Architekten-Deutsch“ – darf man so etwas im Gemeinderat überhaupt sagen? Oder muss man ergriffen schweigen, wenn Texte aus dem Baudezernat weihevoll tönen wie ein Mix aus Theologie, Soziologie und Parapsychologie? 

Also ungefähr so: “Die Mannheimer Multihalle bietet als Wissensspeicher und Denkraum für Zukunftsthemen eine Plattform, Konzepte zu entwickeln, …. Grundlegend hierfür wirkt die bewusste Überlagerung von lokalen und internationalen Wirkungszusammenhängen, Populär- und Hochkultur und die Überwindung bekannter Top-down- und Bottom-up-Verfahren zugunsten eines iterativen und transversalen, die Beschränkungen tradierter Denkmuster aufbrechenden Prozesses von Wissensproduktion auf Augenhöhe.“

Seelisch erhoben haben uns auch die folgenden Formulierungen: “Die Wiederentdeckung der Multihalle eröffnet darüber hinaus eine Perspektive, wie sich ein Annäherungsprozess zwischen Nutzern und Architektur produktiv gestalten lässt. Baukultur erweitert in diesem Verständnis das Feld ästhetischer und physiologischer Bewertung von Architektur zu Gunsten der Idee von intellektueller Interaktion zwischen Mensch und Artefakt.“  So könnte man seitenweise weiterzitieren.

Es geht mal wieder um die unnütze, marode, seit Jahrzehnten zu 99% leerstehende Multihalle im Herzogenriedpark. Nachdem die Verwaltung getönt hatte, eine Sanierung käme nur infrage, wenn sie überwiegend von Sponsoren finanziert würde, soll es jetzt doch der Steuerzahler schultern. Dafür wird sie einen Antrag auf 70% Bundeszuschuss stellen, von geschätzt 15 Mio. nur für die Schale. Die beiden Zitate stammen aus der fünfseitigen Antragsbegründung der Verwaltung.

Schon bisher haben wir gefordert, ein ca. 15-20 m langes Stück Zugangstunnel als Zitat stehen zu lassen, die ungewöhnliche Bauhistorie aus der Vor-CAD-Zeit ordentlich zu dokumentieren, und die Halbruine wie ursprünglich geplant abzureißen. Dabei sind wir gestern im Hauptausschuss geblieben, mit gleichen Sachgründen auch ML und FDP.

Erinnern wir uns:

  • Die Multihalle war von Anfang an als temporäres Bauwerk geplant für die Dauer der Bundesgartenschau 1975. Darauf ausgerichtet war auch die prinzipiell instabile Konstruktion, für die es auch noch nie eine Baugenehmigung als dauerhaftes Bauwerk gegeben hat.
  • Die Halle ist zugig, man kann sie im Winter nicht angemessen heizen und im Sommer nicht angemessen kühlen. Die Akustik ist unterirdisch, für Veranstaltungen fehlen alle Nebenräume und technischen Einrichtungen, und sie ist von außerhalb des Parks nicht direkt zugänglich.
  • Da die ursprüngliche Konstruktionsweise der Halle nun mal nicht standsicher ist, kann sie auch nicht einfach saniert werden wie ein altes Fachwerkhaus. Eine zusätzliche tragende Gitterschale soll eingebaut werden mit einer “höheren Steifigkeit“. Diese kann unseres Erachtens jedoch nur mit neu konstruierten und (wahrscheinlich) in Metall ausgeführten Kreuzverbindern erreicht werden. Damit ist klar, hier soll eine Leiche konserviert und in einem Schneewittchensarg ausgestellt werden.
  • Auch um überhaupt wieder eine Baugenehmigung zu bekommen, soll getrickst werden. Die Multihalle soll jetzt auf einmal kein richtiges Gebäude mehr sein, sondern einfach nur “ein Dach“, das so in der Gegend herumsteht. Anscheinend soll die Genehmigung nach den Regeln für Carports erfolgen, obwohl die Halle angeblich für Veranstaltungen und noch unbestimmten Sport dienen soll.
  • Aus der Sicht des Steuerzahlers zusätzlich beunruhigend ist, dass die städtischen Bemühungen der letzten 18 Monate, mit Ausstellungen und “kreativen” Symposien geradezu bewiesen haben, dass es – wie seit 40 Jahren – keine vernünftigen, sich selbst tragenden Nutzungsideen gibt. Alles was dort stattfinden sollen, muss bis ans Ende aller Tage mehr oder minder vollständig aus Steuermitteln finanziert werden. Das neudeutsche Kommunal-Slang-Wort dafür heißt, eine Fläche wird “bespielt“.

Wozu dient also das “Geschwafel in Architekten-Deutsch“? Es dient ebenso wie eine Multihallen-Weihestunde in Venedig im letzten Jahr dazu, alle Stadträte und Bürger einzuschüchtern, die mit gesundem Menschenverstand an das Thema herangehen. Ihnen soll suggeriert werden, sie seien schreckliche Banausen, die den überirdischen kulturellen Wert eines Bauwerks nicht erkennen, das die Statik und die Langlebigkeit eines soliden Bierzeltes hat. Angeblich würde die ganze Welt über die Provinzler aus Mannheim lachen, wenn sie nicht erkennen würden, dass die Multihalle direkt nach dem Kolosseum und dem Kölner Dom rangiert.

Wir bleiben unbeeindruckt. Die Architektenzunft ist eine Lobby wie andere auch. Man sollte ihnen zuhören und mit ihnen diskutieren, aber zu Hybris und anmaßenden Forderungen muss man auch mal Nein sagen können.

 P.S. Im Baudezernat gibt es auch Mitarbeiter, die normales, informatives Deutsch schreiben können. Jüngstes Beispiel ist eine 165 Seiten starke Broschüre zum Rahmenplan für die Konversionsflächen auf Spinelli. “Fachlichkeit“ geht auch ohne Geschwurbel und ohne Pfauengehabe.