Politische Gewaltandrohung verurteilen, gleich von welcher Seite, oder sich auf rechtsradikale Gewalt konzentrieren und linksradikale ausblenden? Heute, am 16. Dezember 2014, hatte der Mannheimer Gemeinderat die Wahl. Im Ergebnis haben sich SPD, CDU, GRÜNE, ML und LINKE dafür entschieden, das linke Auge fest zuzudrücken und Gewalt von links nicht weiter zu erwähnen. Wie konnte es dazu kommen?
Rückblick: Am 2. Dezember 2014 weist ein Artikel im Rheinneckarblog auf eine Veröffentlichung “Mannheim goes ISIS” auf der Website der hiesigen NPD hin. Es geht dort um Menschen aus Mannheim, die in den Kampf für das Kalifat gezogen sind, die Al-Faruq-Moschee, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, und einen massiven persönlichen Angriff gegen den OB: “Offenbar gefällt sich der Sozi in der Rolle des Islamistenflüsterers. Alles muss hübsch bunt und Multikulti sein; Islamisten aber setzten auf solche Konzepte nur einen Misthaufen, oder, einen abgeschlagenen Kopf. Es ist zu hoffen, dass die ersten Opfer der Islamisten in Mannheim keine Bürger sind, sondern Politiker der Multikulti-Parteien wie SPD, Grüne und Linke. Sie können ruhig in ihrem Blut ersaufen.”
Klarer kann man es kaum ausdrücken, dass man seinen politischen Feinden den Tod wünscht. Und aus trauriger Erfahrung mit Schlägern und Attentätern wissen wir, die Gewaltphantasien von heute sind die Gewalttaten von morgen. Wer so formuliert, will nicht Teil der rechtstreuen bürgerlichen Gesellschaft sein.
Am Freitag, den 12. Dezember 2014, fragt der Geschäftsführer der SPD-Fraktion an, ob wir eine gemeinsame Erklärung zu diesem Vorgang mittragen werden. Unsere Antwort ist ja, aber wir möchten erst den Text sehen.
Am Montag, den 15. Dezember übersendet die SPD-Fraktion den folgenden Entwurf an die Geschäftsstellen der Fraktionen von CDU, ML, FDP und AfD. Mit Grünen und Linken war er offensichtlich bereits abgestimmt:
Bekräftigung der Mannheimer Erklärung zum Geist der Offenheit, der Toleranz und der Verständigung
Wir, die unterstützenden Stadträtinnen und Stadträte im Mannheimer Gemeinderat, bekräftigen im Sinne der Mannheimer Erklärung unsere Haltung, den Geist der Offenheit und der Toleranz gemeinsam zu bewahren.
Besonders lehnen wir jegliche Aufrufe zu Gewalt ab. Deshalb verurteilen wir aufs Schärfste die Äußerungen, mit denen die NPD Mannheim auf ihrer Webseite Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz und Politikerinnen und Politiker verschiedener Parteien menschenverachtend angegriffen hat.
Mannheim ist seit seiner Gründung eine Stadt der Verständigung und Vermittlung. Wir stehen ein für diese Tradition, für einen offenen und fairen Diskurs, der geprägt ist von gegenseitigem Respekt und der Achtung der Grundrechte.
Der Text wäre ok. Wenn nicht in der Neckarstadt vier Wochen zuvor selbsternannte AntiFa-schisten dem (vorläufigen) rechtextremen Verbalradikalismus bereits linksextreme Taten hätten vorausgehen lassen.
Mit voller Wohnadresse, Foto und politischem Kurzlebenslauf wurden von der “AntiFa” im Internet und per Flugblatt drei rechte Aktivisten geoutet. Und – wen wundert’s – in der Nacht zum 15. November 2014 wurden von Unbekannten 15 Häuser in der Neckarstadt-West mit Parolen beschmiert und kenntlich gemacht, darunter die zuvor geouteten Adressen.
Ein Sympathisant kommentiert auf Indymedia: “Immer schön outen, diese Leute & wenn sie noch in Arbeit sind holen wir sie dort auch raus.”
“Diese Leute” und ihre mutmaßlich rechtsradikalen Ansichten könnten uns nicht ferner stehen. Aber darf es eine demokratische Gesellschaft hinnehmen, wenn Extremisten Ihre extremistischen Gegner an öffentliche Pranger stellen? (Wir reden hier nicht von Spitzenfunktionären als “öffentlichen Personen”.) Wenn sie implizit zum Einbruch in die Privatsphäre aufrufen? Wenn sie sie um ihren Job bringen wollen? (Wir reden nicht von zur Verfassungstreue verpflichteten Beamten!)
Nicht nur vor diesem Mannheimer Erfahrungshintergrund schlugen wir den anderen Fraktionen vor, die unten rot eingefügten Zeilen zu ergänzen.
Besonders lehnen wir jegliche direkten und indirekten Aufrufe zu Gewalt ab. Deshalb verurteilen wir aufs Schärfste die Äußerungen, mit denen die NPD Mannheim auf ihrer Webseite Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz und Politikerinnen und Politiker verschiedener Parteien menschenverachtend angegriffen hat, aber auch die Veröffentlichung von Wohnadressen politischer Gegner und subtile Drohungen mit Wandschmierereien durch die extremistische Linke.
Der Mißerfolg hätte größer nicht sein können. Keine der anderen Parteien wollte das linke Auge öffnen und die Gewalt von links ansprechen. Anscheinend haben sich auch die angeblich “bürgerlichen” Parteien so in eine linksgrüne Volksfront einwickeln lassen, dass ihnen die einfachsten liberalen, rechtsstaatlichen Maßstäbe abhandengekommen sind.
Die Begründung des OB war, die AntiFa sei schließlich nicht im Gemeinderat, die NPD aber schon. Nicht erwähnt hat er, dass er sich am 17. Dezember 2014 (Donnerstag Abend) als OB-Kandidat der grünen Mitgliederversammlung vorstellen wird, damit diese auf einen Gegenkandidaten verzichtet. Da wäre es natürlich kontraproduktiv, zwei Tage vorher deren linksradikale Freunde zu kritisieren.
Der gemeinsamen Erklärung gegen die unsäglichen NPD-Äußerungen haben wir dennoch zugestimmt. Es ist ja nicht unser Ziel, die gewaltverherrlichenden Appelle der NPD nicht zu verurteilen. Wir hätten halt gerne dem Radikalismus an beiden extremen Rändern widersprochen, statt nur an einem. Leider gab es dafür heute keine Verbündete im Gemeinderat. Aber so ist das, wenn man Politik machen will. Man darf nie aufgeben.