Von Eberhard Will, Mannheim
“Wie viele Generationen – zwei oder drei? – wird es benötigen, bis es in Deutschland einen muslimischen Kanzler gibt?“ und “Wann wir es bei der Mannheimer Polizei Polizistinnen mit Kopftuch geben – so wie in London?“ Das waren letzte Woche in Mannheim die zwei ersten Publikumsfragen von Jungmuslimen im Anschluss an eine Podiumsdiskussion über “Salafismus in Deutschland. Hintergründe, Auswirkungen und Prävention.“ Die Veranstalter von IFIZ&IZ schauten etwas zitronig, denn die Botschaft der vierstündigen Konferenz in den eigenen repräsentativen Räumen in Wohlgelegen sollte eine andere sein.
Eigentlich sollte es um das Abdriften sozial und mental verlorener Seelen in den Salafismus und von dort aus in den islamistischen Terrorismus gehen, und was man präventiv dagegen tun kann. Eingeladen hatte – in Zusammenarbeit mit der Stadt Mannheim – IFIZ &IZ, das Institut für islamische Studien und interkulturelle Zusammenarbeit e.V., seinerseits gefördert durch KUDEM, Kulturhaus der europäischen Muslime e.V. Dessen Sufi-Einschlag steht für Mystik, erlaubte Musik und aktive Missionierung. Man ist stolz auf die inzwischen 40.000 Bände umfassende Islam-Bibliothek und das Angebot eines berufsbegleitenden Madrasa-Studiums.
Nach dem Gründungsdirektor des Instituts, Prof. Dr. Hüseyin Ilker Cinar, begrüßten OB Dr. Kurz und Muslim-Zentralratsvorsitzender Aiman Mazyek etwa 120 Teilnehmer aus halb Deutschland, darunter etwa 25 Frauen, fast alle unter dem Hidschab.
Vorträge gab es danach von Dr. Martin Maḥmūd Kellner (im Programm nur Dr. Martin Kellner), konvertierter Österreicher an der Universität Osnabrück, der “Theologische Überlegungen zur Deradikalisierung und Prävention“ anbot. Für Nicht-Insider war die theologische Unterscheidung zwischen Guten und Bösen, und wie man zu ihr kommt, etwas undeutlich, sodass auch ein Salafist leicht hätte darüber hinweghören können, wenn er gewollt hätte. Der Mannheimer Polizeipräsident Köber – ein begabter Kommunikator – hatte das Thema “Radikalisierung – ein zunehmendes Problem für Polizei und Gesellschaft“. Er sprach über die Bemühungen seiner Beamten, mit allen Fraktionen der imigrantischen und muslimischen Community ins Gespräch zu kommen und im Gespräch zu bleiben, als braver Verfassungspatriot, der nicht nur seine Dienstpflichten kennt und exekutiert, sondern auch bereit ist, sie jedermann für ihn (oder sie) verständlich zu erklären. Über “Salafistische Konzepte, eine Herausforderung für die Prävention – die schwierige Grenzziehung zwischenindividueller Frömmigkeit und extremistischer Ideologie“ referierte Dr. Benno Köpfer vom Landesamt für Verfassungsschutz BW, studierter Islamwissenschaftler. Er machte klar, wo die rote Linie zu den kämpferischen Aktivitäten jenseits der freien Meinung verläuft – auch wenn die Gerichte sie manchmal etwas verschöben. “Friedenserziehung im islamischen Religionsunterricht“ war das Thema von Prof. Dr. Jörg Imran Schröter – ebenfalls Konvertit – von der PH Karlsruhe. Er erhofft sich von künftigem muslimischem Religionsunterricht an allen staatlichen Schulen ein positives, wissensbasiertes Selbstvertrauen des Nachwuchses und Immunisierung gegen Salafistische Anwerbung. Weiteres im unten verlinkten Bericht des MM vom 15.Juli.
Alle Mühe hatten sich die Veranstalter gegeben, deutlich zu machen, dass sie die innerislamische Auseinandersetzung mit Salafisten und Terroristen zu ihren wichtigen Aufgaben zählen. Dass dies keine leichte Arbeit ist, wird klar, wenn man sich zum Vergleich einen christlichen Pfarrer vorstellt, der gewaltgeneigten fundamentalistischen Christen (gibt es z.B. in den USA) entgegentritt. Er hat die Lehre Christi und das gesamte Neue Testament auf seiner Seite und kann theologisch vollkommen widerspruchsfrei argumentieren. Sein fundamentalistischer Gegner kann aus dem neuen Testament höchstens ein oder zwei Sätze aus dem Zusammenhang reißen und sich ansonsten – das genuin Christliche komplett missachtend – aus dem Alten Testament bedienen. Gottlose Päpste, kämpferische Fürstbischöfe oder grausame Missionare aus der Geschichte sind für heutige Christen ausnahmslos keine Vorbilder. Das darf auch ein Agnostiker so sehen.
Unagressive Muslime, die ihren Frieden mit einer säkularen Welt machen möchten, haben es da viel schwerer. Sowohl verschiedene Modernisierer einerseits als auch Reaktionäre, z.B. Muslimbrüder oder Salafisten andererseits, müssen sich alle aus dem gleichen Steinbruch der Koransuren und der Hadithe bedienen, in denen das siebente Jahrhundert versteinert ist. Da geht zunächst mal nur Betonen oder Weglassen. Erst im nächsten Schritt kann man vorsichtig an die Frage gehen, was der alte Text (das unveränderliche Wort Allahs und das nicht kritisierbare Verhaltensvorbild des Propheten) für die Gegenwart bedeute. Daher ist es nicht überraschend, wenn sich beide Seiten gegenseitig die gleichen Vorwürfe machen: willkürliche Zitate und Interpretationen, entwerder als Lego-Islam oder als Apostasie. Anschließend betet man in den gleichen, nach osmanischen Eroberern benannten Moscheen und schickt die Frauen in einen Nebenraum. Wir bleiben skeptisch.
In gewisser Weise dürfen wir den eingangs zitierten Jungtürken für ihre Fragen nach dem muslimischen Kanzler und den Polizistinnen unter dem Kopftuch dankbar sein für die darin steckende Selbstoffenbarung, die ihren Altvorderen so spürbar peinlich war. Konnte man sie doch nur als Bekenntnis zu Expansionsphantasien interpretieren, deren Unterstellung durch die Ungläubigen sonst gerne als islamfeindlich denunziert wird.
Polizeipräsident Körber war so generös, die Frage nach dem muslimischen Kanzler mit dem Hinweis auf die in der Türkei geborene Baden-Württembergische Landtagspräsidentin Muhterem Aras lässig vom Tisch zu nehmen. Die Frage nach den Polizistinnen unter dem Kopftuch würgte der Moderator Prof. Kellner als theologisch nicht relevant ab. Damit war der alten Regel wieder Geltung verschafft: Immer daran denken, nie davon sprechen.
Zuerst veröffentlicht auf www.monnemblog.de .
“Religion wird für Gewalt missbraucht” – Mannheimer Morgen
“Lies!”: Eine salafistische Kampagne lässt den Koran verteilen.© dpa Mannheim.Für Imran Schröter hat Radikalität nichts damit zu tun, dass ein Mensch tief religiös ist. “Vielmehr hängt Radikalisierung mit entwurzelter Religion zusammen”, sagt er auf dem Kongress “Salafismus in Deutschland” im Mannheimer Institut für islamische Studien und interkulturelle Zusammenarbeit (IFIS & IZ).